07 Feb 2019

Lesevormittag mit Stefan Gemmel

Heute Vormittag ist der bekannte Kinder- und Jugendbuchautor Stefan Gemmel wieder zu Gast am HJG. Bereits zum 14. Mal stellt er unseren Sechstklässlern neue Bücher vor. Dieses Mal hat er sein neues Buch „Befreiungsschlag“ im Gepäck.

In diesem Roman geht es um straffällig gewordene Jugendliche. Nachdem diese verurteilt worden sind, haben sie die Wahl zwischen Gefängnis oder einem sog. „AGT“ („Anti-Gewalt-Training“). Bevor Gemmel dieses Buch geschrieben hat, hat er selbst ein Jahr lang ein AGT besucht und währenddessen die teilnehmenden Jugendlichen persönlich kennengelernt und versucht, deren Welt zu verstehen. Mit dem AGT-Trainer Uwe Zissner zusammen hat er anschließend die Geschichte der einzelnen Jugendlichen aufgeschrieben.

In seinem Buch zeigt der renommierte Jugendbuchautor wie Gewalt entsteht: Die Anführer einer Gruppe müssen Stärke zeigen, um Gefolgsleute um sich zu scharen. An einem Ort oder zu einem Zeitpunkt, an dem Erwachsene es nicht sehen können, machen sie Schwächere immer wieder nieder, sodass der Unterlegene sich nicht wehren kann. Oft sind ruhige Teenies betroffen, die wenig Widerstand leisten. Mit der Zeit stauen sich Aggressionen unter Umständen durch jahrelanges Mobbing auf. Die meisten Jugendlichen haben so eine lange Geschichte hinter sich, die bereits in der Grundschule begonnen hat. Die permanenten Angriffe versuchen die Jungs während der Grundschulzeit auszuhalten: „Du hältst es für dich aus bis zum Ende der Grundschule.“, sagte ein Teilnehmer des AGT. Erwachsene (Lehrer, Eltern…) nehmen den Konflikt – das Mobbing – jedoch nicht wahr.

Betroffene Jugendliche entscheiden sich dafür, nach der Grundschule in eine andere weiterführende Schule als der Angreifer zu gehen. Jedoch gelingt der so erhoffte Neustart an der neuen Schule i. d. R. nicht, denn Situationen wiederholen sich hier und das Mobbing geht auch dort weiter, bis sich die Angriffe auf das Opfer entladen. Da sich der Angegriffene nicht wehren kann, schlägt er irgendwann zum ersten Mal zu, um weitere Angriffe zu verhindern. „Ab dem ersten Schlag hast du dein Leben nicht mehr im Griff!“, sagte ein weiterer Jugendlicher im AGT. Das Paradoxe, das nun geschieht, ist, dass das Opfer versucht, Teil der Gruppe des Angreifers – sozusagen ein „Freund des Angreifers“ – zu werden, um selbst nicht mehr angegriffen zu werden.

In einem Rollenspiel bezieht Stefan Gemmel unsere Schüler mit ein, indem er durch dieses zeigt, wie Gewalt entstehen kann. Eine weitere Übung aus dem echten AGT, die nur als Team bewältigt werden kann, lässt der Autor unsere Schüler nachspielen, um sie für das Erleben der straffällig gewordenen Jugendlichen zu sensibilisieren.

Mit seiner lebhaften Darstellungsweise gelingt es Gemmel, seine jungen Zuhörer über die ganze Zeit der 90-minütigen Darbietung mit ihren eigenen Fragen, Emotionen und z. T. mit ihrem eigenen Erleben des Themas Mobbing in Verbindung zu bringen und zu fesseln. Eine Frage brennt den Schülern auf den Lippen: „Was kann man denn tun, wenn man (ständig) provoziert oder gar beleidigt wird?“

Hierzu rät Stefan Gemmel z. B. zu sagen: „Wir kennen uns nicht. Warum redest du so mit mir?“ Sofort danach sollte man sich schnell umdrehen und weggehen. Denn wenn das Opfer zuschlägt, hat der Angreifer sein Ziel erreicht. Eine andere Möglichkeit zu reagieren, wenn man bedroht wird, ist dahin zu gehen, wo sich viele Menschen aufhalten oder Anwesenheit von anderen Personen vorzutäuschen, indem man z. B. ruft: „Tom, lass uns Essen gehen…“

Des Weiteren kann man einen Erwachsenen dazuholen, um sich moderiert näher zu kommen. Wenn jemand diesen Schritt wählt, hat er meistens schon alles andere ausprobiert. Hier besteht jedoch die Gefahr, dass dieser – der Erwachsene – den Konflikt nicht sieht.

Außerdem werden den Sechstklässlern unterschiedliche Arten von Aggression vorgestellt. Dabei differenziert Gemmel zwischen lebensnotwendiger Aggression (z. B. beim Geburtsvorgang), Gewalt auf der Straße und Aggression im Sport. Letztere unterscheidet sich von der im Buch beschriebenen Gewalt darin, dass Regeln bestehen, die für ein faires Spiel nötig sind und eingehalten werden, sowie dadurch, dass der Gegner nicht persönlich niedergemacht wird. Hier wird Aggression in ruhige Bahnen gelenkt. „Am Besten geht Aggression nach unten weg (Laufen, Fußball, Sport treiben, …)“, meint Stefan Gemmel.

Während der gesamten Veranstaltung sind unsere Schüler wie in den Bann gezogen. Nach der Lesung – auch in den Tagen danach – äußern sich Teilnehmer und z. T. auch Eltern sehr bewegt und zeigen, dass sie sich von Gemmel verstanden fühlen. Diese Reaktionen machen deutlich, dass das Thema des Buches „Befreiungsschlag“ auch Thema der Sechstklässler ist, über das – nach Schüleraussagen – leider nur wenig gesprochen wird. Manche der teilnehmenden Schüler hatten bereits in der Grundschule Mobbing erlebt, woraufhin sie von ihren Lehrern nicht ernst genommen wurden. – In der Erfahrungwelt unserer Schüler spielt leider Mobbing in den sozialen Medien eine Rolle. Wir fühlen uns jedoch durch die Darbietung des Hunsrücker Autors ermutigt, in Zukunft offener und angstfreier über ein Thema zu sprechen, von dem noch mehr Schüler betroffen sind.

Am Ende dieser eindrücklichen und sehr bewegenden Lesung gibt es wie immer handsignierte Autogramme und unsere Schüler danken Stefan Gemmel mit ganz viel Applaus!