04 Dez. 2024

Zeitzeugengespräch mit Henriette Kretz

Am 14.11.24 hielt die neunzigjährige Henriette Kretz einen Zeitzeugenvortrag für die Stufe 11 und einige 10. Klassen. In drei Schulstunden schilderte sie eindrücklich ihre Erfahrungen als Jüdin zur Zeit des 2. Weltkrieges.

Frau Kretz wurde 1934 in Polen geboren. Sie beschrieb ihre Kindheit als glücklich und behütet. Mit den Folgen von Krieg kam sie zum ersten Mal in Berührung, als ihr vom Militär eingezogene Vater nach nur ein paar Tagen mit verletzten Soldaten zurückkehrte. Als Polen eingenommen wurde, musste die junge Henriette Kretz ihr Zuhause verlassen und in ein jüdisches Viertel ziehen. Dort fand sie sofort Freunde. Eines Nachts wurden sie jedoch von Soldaten geweckt und sollten weggebracht werden.
Durch einen ukrainischen Soldaten konnte die Familie jedoch fliehen. Als sie am nächsten Tag zurückkehrten, mussten sie jedoch feststellen, dass alle ihren Nachbarn und Freunde tot waren.
Die Eltern von Frau Kretz versteckten sie daraufhin bei einer christlichen Frau, jedoch wurden sie nach einiger Zeit entdeckt und ins Gefängnis gebracht, wo sie von ihren Eltern getrennt wurde. Dort lernte sie auch ein Neugeborenes kennen, welches im Gefängnis geboren wurde und um welches sie sich mit den anderen Gefangenen kümmerte. Henriette Kretz konnte nicht glauben, als sie nach einigen Wochen durch glückliche Umstände aus dem Gefängnis entlassen wurde und sie im Ghetto wieder auf ihre geliebten Eltern traf. Gemeinsam konnten sie erneut flüchten und kamen bei einem Ehepaar unter.

Frau Kretz betonte immer wieder, wie sehr ihre Eltern ihr Anker in dieser Zeit waren, bis sie wieder entdeckt wurden. Sie wurden abermals von einem Soldaten abgeführt und die Familie war so erschöpft von den schrecklichen Umständen ihrer Lebensweise und der Flucht der letzten Zeit, dass sie lieber sterben wollten als weiter zu fliehen und ihr Leid weiterhin zu ertragen. Ihr Vater befahl Henriette um ihr Leben zu kämpfen und ihr gelang es erneut zu fliehen. Während sie wegrannte, hörte sie die Schüsse, mit denen ihre Eltern von diesem Soldaten getötet wurden. Völlig entkräftet und entmutigt kam sie in einem Waisenhaus unter, bis man ihren Onkel ausfindig machte, von dem sie fortan aufgezogen wurde.
Jahrzehnte später traf sie im Zug auf einen jungen Mann. Es stellte sich heraus, dass dieser Mann das neugeborene Baby war, um das sich Frau Kretz im Gefängnis gekümmert hatte. Was für ein Zufall – auch er hatte überlebt!

Die Schüler lauschten dem Vortrag von Frau Kretz ehrfürchtig und sehr interessiert. Sie erzählte gefasst und gleichzeitig eindrücklich von ihrer Geschichte und ihren Emotionen, trotz ihrer polnischen Herkunft und der damit einhergehenden Sprachbarriere.
Immer wieder betonte sie, dass man sich für die Demokratie einsetzen müsse, da sie die einzige Staatsform sei, die einem ein Leben in Freiheit biete – in der es keine Rolle spiele, welcher Religion oder Nationalität man angehöre.

Henriette Kretz hoffte darauf, dass man aus den Umständen ihres Lebens lerne und betonte, dass sie es für sehr wichtig halte, insbesondere vor einem jungen Publikum zu reden.

Jeglichen Applaus lehne sie jedoch ab und zitierte sich selbst aus ihrem Vortrag im Bundestag, dass “sie ja nicht Lady Gaga” sei.