Bericht über den Studientag der Fachschaft Religion und Ethik nach Worms und Speyer
Dass der Begriff „Jerusalem am Rhein“ mit den rheinhessischen Städten Mainz, Speyer und Worms verbunden wird, ist wohl den wenigsten bekannt. Und doch sind diese drei Städte in Kombination und gleichzeitig auch einzeln für sich von immenser Bedeutung für Juden weltweit.
Die SchUM Stätten, wie sie als Akronym aus den ursprünglichen, jiddischen Namen Schpira (Speyer), Warmasia (Worms), und Magenza (Mainz) zusammengesetzt heißen, bezeugen (zum Teil dank großartiger Restaurationsarbeiten) um 1000 Jahre jüdische Geschichte. Da unsere Fachschaft Religion und Ethik in diesem Schuljahr unter dem Banner des Jubiläums „1700 Jahre Juden in Deutschland“ zahlreiche Projekte, Zeitzeugen- und interkulturelle Gespräche, Festakte und Ausflüge durchführte, stand der diesjährige Studientag am 18.07.22 ebenfalls unter dem (Davids-)Stern jüdischer Geschichte und Kultur in unserem Land.
Nach der Begegnung mit unserer Stadtführerin Bettina in Worms starteten wir mit einer Runde um den Dom, dessen Erbauung eng mit der Ansiedlung der ersten Juden in Worms zusammenhängt, da sich die Bauherren bei den jüdischen Finanz- und Kaufleuten Geld liehen, die innerhalb der Wormser Stadtmauer in Richtung Rhein siedelten. Außerhalb der Mauern wurde auf einer ehemaligen Sandgrube (ebenfalls ein Relikt des Dombaus) der jüdische Friedhof „Heiliger Sand“ eröffnet, den wir als nächstes besuchten. Schon beim Betreten des Friedhofs eröffnet sich ein einzigartiger Blick auf hügelige Wiesen, durchsetzt mit Grabsteinen aus Sandstein (der Älteste wohl aus 1076!), die sich, obwohl alle nach Süden ausgerichtet, keinesfalls säuberlich aufreihen, sondern windschief und teilweise umgekippt vorliegen. Weit entfernt also von den glattgebügelten, geordneten Friedhöfen der Christen. Dies liegt darin begründet, dass jüdische Gräber nicht geräumt werden, sondern verwittern sollen, um die Vergänglichkeit der Menschen zu repräsentieren.
Erst die zweite Hälfte des Friedhofs zeigt sich mit größeren Grabsteinen und abgesteckten Gräbern angepasster an die Gepflogenheiten der Christen in der Umgebung. Höhepunkte des Friedhofs sind die Gräber zweier spannender Persönlichkeiten, Rabbi Meir von Rothenburg und Alexander ben Solomon Wimpfen Süßkind, deren Geschichten insofern miteinander verknüpft sind, als dass der Rabbi vom damaligen König festgesetzt wurde und in Haft verstarb, weil er nicht wollte, dass seine Gemeinde Geld für seine Freilassung ausgäbe. Süßkind kaufte die sterblichen Überreste des Rabbis später frei, sodass er auf dem jüdischen Friedhof angemessen bestattet werden konnte. Die beiden sind direkt nebeneinander begraben und das Doppelgrab gilt bis heute als Pilgerstätte für Juden weltweit, die, ähnlich wie an der Klagemauer in Jerusalem, Wünsche und Gebete in Papierform, aber auch Steine als Andenken vor Ort ablegen – ein Zeichen für die Erinnerung an die Begrabenen.
Nach einem kurzen Spaziergang durch das ehemalige jüdische Viertel, besahen wir uns noch die alte Synagoge, welche äußerst beeindruckend restauriert wurde, nachdem die Nazis sie, wie nahezu alle jüdischen Gotteshäuser, in der Reichpogromnacht 1938 niederbrannten. Zu ihren Besonderheiten gehören unter anderem das heutzutage integrierte, früher abgetrennte Frauenbethaus und die Mikwe (dazu später mehr), welche wir uns allerdings nicht anschauen konnten, da sie sich derzeit im Restaurationsprozess befindet. Ein besonderer Blickfang innerhalb der alten Gemäuer ist die Gedenktafel für in der Nazizeit getötete Juden und Jüdinnen, die jedoch neben den vielen aufgelisteten Namen auch ausgekratzte Stellen beinhaltet – Namen von Menschen, die als getötet galten, sich jedoch später als lebendig meldeten und ihren Namen von den Tafeln entfernen ließen
Nach unserem Abschied von Frau Maurer und der Fahrt nach Speyer stärkte sich unsere achtköpfige Gruppe im Biergarten des Gasthauses „Domhof“, bevor wir auch hier von einer ortskundigen Führerin abgeholt wurden, welche uns die jüdische Geschichte Speyers näherbringen sollte. Kerstin leitete uns zunächst zu den Gemäuerüberresten der alten Synagoge und der toll erhaltenen Mikwe, einem Becken mit Grundwasser, in welches praktizierende Juden und Jüdinnen zu verschiedenen Anlässen eintauchen sollen, um rituelle Reinigungen zu vollziehen. Um stets genügend Wasser zu haben, befindet sich das Bad unterirdisch und ist über eine absichtlich äußerst unstet gebaute Treppe (Hinweis auf die Vollkommenheit Gottes und die Fehlbarkeit der Menschen) zu erreichen. Auch ohne einzutauchen war uns der kühle Kellerbereich eine willkommene Abwechslung zur sengenden Hitze an der Oberfläche.
Nach einem kurzen Halt am frei verfügbaren Bücherregal der Stadt, an dem gleichzeitig der Bücherverbrennung des Pogroms gedacht und getrotzt wird, zeigte uns Kerstin bereits gesetzte und noch in Planung befindliche Stolpersteine in Mainz. Diese sind in das bestehende Pflaster eingesetzte Messingsteine, auf denen Namen und Lebensdaten von Juden und Jüdinnen eingraviert sind, die in Speyer lebten und durch die Nazis ermordet oder vertrieben worden waren. Wenn möglich befinden sich die Steine vor den ehemaligen Wohnhäusern der Personen, denen sie gewidmet sind. Kerstin konnte uns in viele herzzerreißende Familienbiografien einführen, die die Schrecken der Nazizeit noch einmal an konkreten Beispielen aufleben ließen. Sie selbst engagiert sich in der Gruppe, die große Mühen auf sich nimmt, um die Familien der verstorbenen, geflüchteten oder verschollenen Personen aufzusuchen und die geschmackvollen Zeremonien zur Einsetzung der Stolpersteine zu organisieren.
Der letzte Halt auf unserer Tour durch Speyer war die neue Synagoge. Hier erwartete uns ein Gebäude auf dem modernsten Stand, in dem wir uns im Raum des Gottesdienstes niederlassen durften, die tolle Akustik erleben und das ansprechende Design des Saales betrachten konnten. Ein interessanter Kontrast zur Synagoge in Worms entstand und machte neugierig darauf, wie unterschiedlich sich die Feiern in den beiden verschiedenen Gebäuden wohl anfühlen würden. Eine unschöne Erinnerung an die furchtbaren Verbrechen der jüngeren Vergangenheit stellte die Polizeibegleitung dar, die wir (und jeder Besucher der Synagoge) mitnehmen mussten, um die Räumlichkeiten zu besichtigen.
Mit einem Eiskaffee auf dem größten Platz der Maximiliansstraße und mit Blick auf den Dom schlossen wir mit unserem Studientag, welcher uns nochmal tiefe Einblicke in jüdisches Leben in Deutschland gab. Es ist nun an uns, den Schüler*innen unserer Schule die Möglichkeit zu geben, ebenso in diese unbekannten Welten vorzustoßen und so auch heute für Toleranz und interreligiöse sowie interkulturelle Kommunikation zu sorgen. Wir freuen uns darauf!
Ein großer Dank gebührt den Stadtführerinnen, die beide Touren unglaublich lebendig gestaltet haben und auch bei unseren Nachfragen nie um ein Mehr an Information verlegen waren. Allen voran aber danken wir Kerstin Sonnet-Reischl, die diesen Ausflug im Alleingang organisierte und diesen lehrreichen Tag somit erst ermöglichte.