28 Jun 2022

Literatur als Spiegel der Zeit: Lesung für die Jahrgangsstufe 11 am Herzog-Johann-Gymnasium mit Dr. Werner

Die Oberstufenschüler der Jahrgangsstufe 11 erhielten am Freitag, dem 24. Juni 2022, die Gelegenheit, an einer Lesung mit Dr. Werner von der Buchhandlung „Schatzinsel“ in Simmern teilzunehmen, bei der er vier Bücher vorstellte, die auf der Longlist der Nominierungen für den deutschen Buchpreis 2021 standen. Die Anordnung folgte der Chronologie der Geburtsjahre der jeweiligen Autoren.

So stellte er zu Beginn den Roman des im Jahre 1928 in Hamburg geborenen Georges-Arthur Goldschmidt: „Der versperrte Weg“. vor, in dem Goldschmidt aus der Perspektive seines älteren Bruders Erich dessen Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs erzählt. Der von den Idealen der Nationalsozialisten begeisterte Junge muss erfahren, wie er und seine Familie aufgrund ihres Stammbaums von gesellschaftlich geachteten Personen zu Ausgestoßenen und Verachteten werden, die verfolgt und sämtlicher Rechte beraubt werden. Dr. Werner las dazu die passenden Textstellen vor, die die Wandlung Erichs vom glühenden Deutschen zum Suchenden und mit sich und seiner Familie Ringenden bis hin zum bekennenden Franzosen, der sich der Resistance anschließt, verdeutlichten.

Die 1947 geborene österreichische Autorin Monika Helfer beschreibt in ihrem autofiktionalen Roman „Vati“ einen Familienvater, der ein Büchernarr ist und dem Bücher beinahe wichtiger als Menschen sind. Ihr 2020 erschienener Bestseller „Die Bagage“ erzählt sie die Geschichte ihrer Großeltern und deren Kinder, besonders ihrer Mutter Grete Mittelpunkt.

Der von Doktor Werner vorgelesene Romanauszug aus „Vati“ verdeutlicht die Beziehung der Autorin zum Vater, die im Kindes- und Jugendalter gespannt war. Doch mit dem Erwachsenwerden wird das Bild des Vaters positiver und während der Suche nach den eigenen Wurzeln und der persönlichen Identität wächst das Bemühen, den Vater zu verstehen.

Henning Ahrens, geboren 1964 in Peine, beschreibt in seinem Roman „Mitgift“, die Geschichte der Familie Leeb aus der niedersächsischen Provinz, die seit sieben Generationen ihren Hof bewirtschaftet. Im Mittelpunkt stehen die Totenfrau des Dorfes, Gerda Derking, und Wilhelm Leeb, der sie vor vielen Jahren sitzen ließ, um stattdessen eine vermögende Bauerntochter wegen deren Mitgift zu heiraten. Wilhelm zog als überzeugter Nazi in den Krieg und kehrt erst nach Jahren aus der polnischen Kriegsgefangenschaft zurück. Doch er tyrannisiert seine Familie und macht vor allem seiner Frau und seinem ältesten Sohn, die sich abgerackert haben, um den Hof während des Krieges zu bewirtschaften, das Leben zur Hölle.

Der Schüler Daniel Scheib präsentiert gekonnt die Romanhandlung und Herr Werner rundet diese Vorstellung ab mit einem Zitat, das eindrucksvoll die späte Auflehnung der Bauersfrau gegen ihren Ehemann beschreibt.

Am Ende der Lesung wird Shida Bazyars Roman „Drei Kameradinnen“ vorgestellt. Die Autorin wurde 1968 in Hermeskeil geboren, ihre Eltern waren politische Aktivisten und flohen 1987 auf Grund der Auswirkung der Islamischen Revolution aus dem Iran. Der Roman erzählt die Geschichte dreier junger Frauen mit Migrationshintergrund, die während ihrer Jugend gemeinsam in einer Siedlung aufgewachsen sind und sich nun für eine Hochzeit nach Jahren treffen und eine unbeschwerte Zeit miteinander verbringen wollen. Doch sie können die alltäglichen Erfahrungen von Wut, Gewalt, Hass und rechtem Terror nicht ignorieren, sodass die Situation eskaliert.

Doktor Werner skizziert dies zunächst durch das Lesen des Prologs, eines gefälschten Berichts aus der rechten Szene über einen Anschlag, für den die Protagonistin verantwortlich gemacht wird.

Ergänzt wird dies durch eine weitere Textstelle, die die negativen Erfahrungen der jungen Frau in der Schule verdeutlicht.

Die vorgestellten Romane vermitteln  einen Einblick in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, der Nachkriegszeit und der Gegenwart aus der Perspektive von begeisterten Nationalsozialisten, Verfolgten, Außenseitern, Mitläufern, Flüchtlingen und Migranten und zeigen die Auswirkungen von Hass, Gewalt und Terror auf Familie und Gesellschaft.